Wer die Verantwortung für die Begabungen eines Kindes in die Hände von einer fachkundigen Person legt, möchte wissen, wer diese Person ist. Wer ist die Gründerin des Talentegartens, was kann sie und worin bestehen ihre Aufgaben? In diesem Interview lernen wir Katja Higatzberger, MA besser kennen – persönlich und fachlich.

Was genau kann man sich unter deinen Beratungen vorstellen?
Begabungsexpertin: Zu mir kommen Familien mit Kindern in ganz unterschiedlichen Altersgruppen – vom Baby- bis zum Studentenalter. Häufige Themen sind beispielsweise: Wie schaffe ich die richtigen Bedingungen für mein Kind beim Schuleinstieg oder Schulwechsel? Auch das Verhalten der Kinder gegenüber Lehrerinnen und Mitschülerinnen sind Problemfelder. Weitere Themen sind Differenzierung, das Überspringen von Klassen oder Lernprobleme von Kindern, die eigentlich viel Potential hätten. Auch das Zusammenleben in der Familie oder das Freunde-Finden fallen in mein Fachgebiet. Wichtig ist mir dabei: Ich sehe Kinder ganzheitlich. Ich sehe sie nicht getrennt oder aufgeteilt in Bereiche wie „Schule“ und „Zuhause“.

Wieso heißt du eigentlich Begabungsexpertin?
Begabungsexpertin: Ich habe selbst vier Kinder. Sie sind in verschiedenen Bereichen sehr begabt und interessiert. Gesehen habe ich diese Begabungen, aber ich konnte sie nicht fördern. Meine Tochter zum Beispiel hat immer sehr gerne gezeichnet – ich selbst kann überhaupt nicht zeichnen. Im Laufe der Zeit habe ich entdeckt, wie schwierig unser Schulsystem auch für begabte Kinder sein kann, weil sehr wenig auf die individuellen Stärken der Kinder eingegangen wird. Daraufhin habe ich zuerst den Elternverein „Hochbegabung Mödling“ gegründet. Hier war es mir wichtig, die Ängste und Vorurteile gegenüber Hochbegabten aufzubrechen. Dann habe ich begonnen, verschiedene Ausbildungen zum Thema zu absolvieren.
Während des Studiums wurde mir klar, dass wir einen neuen Berufszweig benötigen. Eine Berufsgruppe, die sich in der Beratung nicht auf die Schwächen und Fehler der Kinder konzentriert, sondern die Kinder ganzheitlich betrachtet und Eltern dabei hilft, die familiären Lebensumstände für alle Beteiligten zu optimieren. „Allgemeinmediziner“ der Erziehungsberatung, sozusagen.
So habe ich das Berufsbild des Begabungsexperten / der Begabungsexpertin in meiner Masterthesis entwickelt und untersucht, welche Tätigkeitsfelder dieses abdecken muss, um Familien ganzheitlich zu begleiten. Die meisten Kompetenzen für diesen Beruf habe ich mir in zahlreichen Ausbildungen angeeignet. Zusätzlich konnte ich für den Talentegarten äußerst kompetente Kolleginnen und Kollegen gewinnen, um vielfältige Bereiche abdecken können.

Was hast du vor deiner Gründung des Talentegartens gemacht?
Begabungsexpertin: Zuerst habe ich eine Lehre zur Bautechnikerin gemacht und Architektur studiert. Seit 2005 beschäftige ich mich intensiv mit den Themen der Begabung und Hochbegabung und biete Beratung dazu an. Vor der Gründung des Talentegartens hatte ich dafür drei verschiedene Standorte. 2017 habe ich alles unter einem Dach zusammengeführt.

Gibt es einen Satz, den du bei deiner Arbeit besonders oft sagst?
Begabungsexpertin: Bei den Kursen sage ich sehr häufig: „Es ist egal, ob deine erste Idee falsch ist, es ist wichtig, dass du überhaupt mal eine Idee hast.“ Wenn man eine erste Idee hat, kann man weiterdenken. Ich möchte den Kindern damit auch eine neue Fehlerkultur vermitteln. Manche trauen sich kein eigenständiges Denken mehr zu, aus Angst, etwas falsch zu machen.
Bei der Beratung ist wahrscheinlich mein häufigster Satz: „Sie haben so ein tolles Kind!“ – und das ist die Wahrheit. Ich habe sehr unterschiedliche Kinder bei mir in der Beratung. Jedes davon ist einfach großartig – auf seine eigene Art und Weise. Vielleicht ist das das größte Geschenk, das ich den Eltern manchmal mitgeben kann: Diese Großartigkeit wieder zu sehen.

Was gefällt dir an deiner Arbeit besonders gut?
Begabungsexpertin: Ich finde, ich habe mir die schönste Arbeit ausgesucht, die es gibt. Die kindlichen Fähigkeiten bringen mich zum Staunen. Sei es im Rechnerischen, im Tolle-Fragen-Stellen, im bedingungslosen Experimentieren und vor allem im sozialen Bereich. Ich genieße die Unterschiede zwischen den Kindern und liebe es, dass sich Veränderungen in der Beratung häufig schnell umsetzen lassen. Außerdem freue ich mich über jede Familie, die zu mir kommt und damit allein schon ihre Motivation und ihren Willen zur Veränderung beweisen.
Bei meinen Kursen sind die „Mathe extrem“-Kurse besondere Lieblinge von mir, weil ich hier die Kinder oft über mehrere Jahre begleiten kann. Ein weiterer Lieblingskurs sind die „Technical Girls“. Da kann ich Mädels darin bestärken, offen für Naturwissenschaften zu sein und die Freude daran zu entdecken.

Was hat dir selbst als Kind geholfen, deine Talente zu entfalten?
Begabungsexpertin: Ich glaube, dass ich leider als Kind bei der Entfaltung meiner Talente stark gebremst wurde. Diese Tatsache treibt mich auch jetzt an, in dem was ich tue. Ich hatte großartige Lehrer*innen, die mich in meiner Begeisterung für Naturwissenschaften bestärkt haben. Gleichzeitig hatte ich aber das Gefühl, dass meine Interessen für meine Eltern weniger gewogen haben als jene Bereiche, die mir schwergefallen sind. Auch wenn ich mir sicher bin, dass mir meine Eltern dieses Gefühl nicht geben wollten. Ich stelle fest, dass viele Eltern diesen „Fehler“ unwissentlich machen. Sie legen Wert auf die Bereiche, in denen ihre Kinder schlechte Schulnoten haben und vergessen dabei die Bereiche, in denen die Kinder gut und interessiert sind – dabei sind das die Bereiche, in denen sie wahrscheinlich später einmal einen Beruf ergreifen. Und zweitens sind es auch die Bereiche, aus denen die Kinder Bestätigung und Selbstwertgefühl ziehen.

Wo findet man dich, wenn du nicht gerade im Talentegarten bist?
Begabungsexpertin: Entweder in der Schule: Ich habe das Glück, dass ich seit einiger Zeit auch Kinder in Schulen betreuen darf. Zudem besuche ich auch immer wieder Lehrer*innen. Privat verbringe ich gerne viel Zeit mit meinen Kindern, auch wenn sie schon groß sind, oder ich bin als großer Fan in der Turnhalle: Mein Mann ist Co-Trainer von West-Wien und trainiert Kinder im Handball. Auch im Wald und auf Wiesen bin ich anzutreffen: Dafür sorgt unser Hund Harley.

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