Die Behauptung, dass Unterforderung bei hochbegabten Kindern zu emotionalen Traumata führen kann, scheint gewagt? Dieser Artikel beleuchtet genau dieses oft übersehene Thema und zeigt auf, welche tiefgreifenden Auswirkungen fehlende Herausforderungen auf die seelische Gesundheit unserer Kinder haben können.
Ein Trauma ist eine tiefgreifende emotionale Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Reihe von Ereignissen, die das individuelle Wohlbefinden stark beeinträchtigen können. Oft entstehen Traumata, wenn Menschen über längere Zeiträume hinweg mit intensiven Gefühlen, wie Angst, Trauer oder Scham, konfrontiert sind, ohne diese verarbeiten zu können. Solche unverarbeiteten Emotionen können sich in verschiedenen Formen äußern. Es ist wichtig zu verstehen, dass jeder Mensch unterschiedlich auf belastende Erfahrungen reagiert; was für den einen bewältigbar ist, kann für einen anderen unüberwindbar erscheinen.
Wenn hochbegabte Kinder die Möglichkeit haben, sich mit ihren Lieblingsthemen auseinanderzusetzen, entfaltet sich ein bemerkenswerter Lernprozess. Ihre natürliche Neugier und Offenheit gegenüber Neuem fördern ein tiefes Interesse, das sie in einen sogenannten „Flow“-Zustand versetzt. In diesem Zustand sind sie vollkommen in ihre Aktivität vertieft, was nicht nur die Konzentration steigert, sondern auch das Lernen selbst intensiviert. Während dieses Prozesses wird Dopamin ausgeschüttet – ein Neurotransmitter, der Freude und Motivation fördert. Positive Rückmeldungen aus der Umgebung, sei es von Lehrern oder Eltern, verstärken dieses Gefühl und tragen dazu bei, dass die Kinder ihre eigene Begeisterung weiterentwickeln.
Hochbegabte Kinder lernen in der Regel aus eigenem Antrieb und zeigen eine beeindruckende Fähigkeit zur Selbstmotivation. Wenn sie in einer Umgebung sind, die ihre Interessen unterstützt und ihre Fragen ernst nimmt, können sie nicht nur Wissen tanken, sondern auch ihre kreativen und kritischen Denkfähigkeiten entfalten.
Hochbegabte Kinder freuen sich oft auf den Schulstart, in der Erwartung endlich die Möglichkeit zu bekommen, Neues zu lernen und ihr Wissen zu vertiefen. Doch schnell wird vielen von ihnen bewusst, dass das Lernen in der Schule oft anders verläuft als erwartet.
In den ersten Wochen oder Monaten stehen für hochbegabte Kinder oft eher Wartezeiten an. Sie müssen warten, bis alle anderen Schüler*innen ihren Stift herausgenommen haben, bis die anderen lernen, Zahlen zu erkennen, zu rechnen und Buchstaben zu lesen. Oft wird ihnen nur Stoff vermittelt, den sie bereits beherrschen, weil die gesamte Gruppe diesen lernen muss.
Besonders hochbegabte Schüler:innen stehen oft vor der Herausforderung, dass sie den Lehrstoff ihrer Schulstufe bereits gut beherrschen. Viele von ihnen drücken dies eindringlich Zuhause oder gegenüber ihren Lehrpersonen aus. Aussagen wie: „Ich bin in der Schule, um mich mit meinen Freund:innen zu treffen“ oder „In den letzten vier Jahren habe ich in der Schule stricken gelernt“ sollten den Bezugspersonen zu denken geben. In der Regel wird das Bildungssystem jedoch nicht infrage gestellt, und aus Angst vor Repressalien oder dem Stigma des „Strebers“ wird keine Veränderung gefordert.
Die Lernaktivität muss explizit auf Lernzuwächse hin konzipiert sein.
Der Schwierigkeitsgrad der Lernaktivität muss dem individuellen Leistungsstand angepasst sein, das heißt, genau einen Lernschritt darüber liegen.
Der Lernende erhält ein aussagekräftiges Feedback, das ihm den Erfolg beziehungsweise Misserfolg seines Lernens klar anzeigt.
Was ist Lernen? Lernen ist ein dynamischer Prozess, der weit über das bloße Einprägen von Fakten hinausgeht. Der Expertiseforscher Ziegler macht deutlich, dass Lernen bedeutet, ein Handlungsrepertoire zu entwickeln, das es uns ermöglicht, komplexe Aufgaben zu bewältigen. Im Laufe der Zeit durchlaufen die Schüler:innen verschiedene Leistungsstufen, die sie befähigen, das Nächste zu erlernen. Dabei ist es entscheidend, das zu üben, was noch nicht beherrscht wird, um den Lernprozess erfolgreich zu gestalten.
Eine Frage drängt sich auf: Was machen hochbegabte Schüler:innen, wenn sie in der Schule nicht lernen?
Wenn die Kinder sich in einem Loyalitätskonflikt befinden, erleben sie oft ein breites Spektrum an intensiven Emotionen, die sie möglicherweise nicht ganz erfassen oder ausdrücken können. Auf der einen Seite möchten sie ihren Eltern und Lehrer:innen gefallen, während sie auf der anderen Seite die Aufgaben als sinnlos empfinden. Diese innere Zerrissenheit kann zu Trauer führen – Gedanken wie „Es ist wirklich schade, dass ich hier nicht das lernen kann, was mich interessiert“ schmerzen. Diese Traurigkeit rührt von einem Gefühl der Entfremdung her, da die Lerninhalte nicht mit ihren inneren Bedürfnissen übereinstimmen. Gleichzeitig kann der Gedanke „Es ist nicht fair, dass ich hier meine Zeit absitzen muss“ Wut hervorrufen, die sich aus einem tiefen Empfinden von Ungerechtigkeit speist.
Für viele Kinder gibt es nur wenige Möglichkeiten, ihre intensiven Gefühle zu verarbeiten. Besonders herausfordernd wird es, wenn sie immer wieder mit Aufgaben konfrontiert werden, die sie bereits beherrschen und die ihr Interesse nicht wecken. Studien zeigen, dass hochbegabte Schüler:innen unter solchen Umständen oft unangenehme Emotionen erleben, während andere diese Situationen neutral oder sogar positiv wahrnehmen. Die Umgebung kann häufig nur schwer nachvollziehen, warum dies so ist. Es scheint auf den ersten Blick ein Geschenk des Himmels zu sein, die schulischen Aufgaben bereits zu können und sie so mühelos zu erledigen.
Dass es ihnen schwer fällt, sich auf Dauer mit Aufgaben auseinanderzusetzen, die für sie keinen Lerneffekt haben, zeigt sich häufig an der Dauer der Hausaufgaben. Nicht selten drücken Eltern und Lehrer:innen ihr Unverständnis in Sätzen aus wie: „Du musst dich doch nur konzentrieren,“ oder „Du bist einfach faul.“ Diese Aussagen implizieren, dass das Kind nur willensschwach ist – dabei geht es oft viel tiefer. Die unverstandenen Emotionen, die nicht verarbeitet werden können, führen zu einer inneren Verzweiflung und im schlimmsten Fall sogar zu Traumata.
Um unseren Kindern die bestmöglichen Chancen für ein gesundes und erfülltes Aufwachsen zu bieten, ist es unerlässlich, ihr individuelles Lernverständnis und ihre intrinsische Motivation zu erkennen. Jedes Kind bringt seine eigenen Stärken und Interessen mit, und es liegt an uns, diese zu fördern. Ein erster Schritt besteht darin, den aktuellen Lernstand des Kindes genau zu eruieren. Was hat das Kind bereits gelernt? Wo liegen die Stärken? Diese Informationen helfen uns, Inhalte wegzulassen, die bereits beherrscht werden, und gezielt auf die nächste Lernstufe hinzuarbeiten.
Dabei ist es möglich, nicht nur auf den schulischen Lehrstoff zu fokussieren. In der Projektarbeit beispielsweise haben Kinder die Möglichkeit, selbstständig Themen zu erkunden, zu recherchieren und kritisch zu bewerten. Sie lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und sich an Zeitvorgaben zu halten – Fähigkeiten, die im späteren Berufsleben von großer Bedeutung sind. Indem wir Differenzierung ernst nehmen und Verständnis zeigen, schaffen wir eine Umgebung, die nicht nur das Lernen fördert, sondern auch die Neugierde und das Selbstvertrauen unserer Kinder stärkt. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Weg gehen!